Kaum zu glauben, aber wahr: Bis in die 1970er-Jahre durften Kinder im Auto mitfahren, ohne angeschnallt zu sein. Heute herrscht Gurt- und Kindersitzpflicht. Welche Rückhaltesysteme es gibt, wie Sie Fehler beim Anschnallen vermeiden und weitere Tipps, die die Autofahrt mit Kindern sicherer machen, lesen Sie hier.
Unterwegs mit der Familie: So fahren Kinder im Auto sicher mit
Autounfälle passieren in Deutschland jeden Tag – oft sitzen auch Kinder mit im Auto. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2020 insgesamt 7.302 Kinder unter 15 Jahren als Mitfahrende in einen Autounfall verwickelt. Immer noch enden einige dieser Unfälle tragisch mit dem Tod.
Kinder anschnallen ist Pflicht – und schlau
In den vergangenen Jahrzehnten wurden gesetzliche Regelungen geschaffen, um Erwachsene und Kinder bei einem Autounfall bestmöglich zu schützen. Ein erster wichtiger Schritt war die Einführung der Anschnallpflicht für Fahrerinnen und Fahrer im Jahr 1976 und schließlich 1979 für alle Personen im Auto.
Seit dem 1. April 1993 besteht laut Straßenverkehrsordnung (StVO) in Deutschland zudem Kindersitzpflicht in Kraftfahrzeugen. Das heißt: Bis zum zwölften Geburtstag oder einer Größe von 150 Zentimetern dürfen Kinder nur in amtlich genehmigten sogenannten Rückhaltesystemen im Auto mitgenommen werden. Sind sie alt oder groß genug, erlaubt die StVO auch, dass Kinder im Auto vorn mitfahren dürfen, ohne extra gesichert zu sein.
Den ersten Kindersitz fürs Auto brachte das deutsche Unternehmen Storchenmühle im Jahr 1963 auf den Markt. „Niki“ hieß das Modell.
Ab wann macht eine einfache Sitzerhöhung Sinn?
Theoretisch dürfen Sie Ihren Nachwuchs ab einem Gewicht von 15 Kilogramm auf einer Sitzerhöhung mitnehmen. Durch den Höhenausgleich sitzen Kinder dann zwar (meistens) hoch genug für den 3-Punkt-Gurt, ihr Kopf ist aber ungesichert. Bei einem Aufprall kann er seitlich an die Tür geschleudert werden. Die Sitzerhöhung sollte daher mindestens über eine Rückenlehne und einen Gurthaken verfügen. Besser ist in jedem Fall ein Kindersitz.
Diese zwei Normen gelten für Rückhalteeinrichtungen
In Deutschland wurden Kindersitze bis zum Jahr 2013 nach dieser EU-Norm zertifiziert:
» ECE-R 44: Die Norm orientiert sich am Gewicht Ihres Kindes. Es gibt insgesamt fünf Gewichtsklassen: die Gruppen 0 (bis 10 kg), 0+ (bis 13 kg), 1 (9–18 kg), 2 (15–25 kg) und 3 (22–36 kg). Zum Einsatz kommen dürfen nur noch Sitze, die nach den letzten beiden Aktualisierungen der Norm zertifiziert wurden. Sie tragen die Endungen R 44-03 und R 44-04. Die Kindersitze werden mit dem 3-Punkt-Gurt des Autos fixiert.
Seit 2013 werden Kindersitze nach dieser Norm zugelassen:
» ECE-R 129 (iSize): iSize-Rückhaltesysteme orientieren sich an der Körpergröße Ihres Kindes. Es gibt keine allgemeinen Größenangaben, die Hersteller dürfen diese selbst festlegen. iSize-Sitze verfügen über das ISOFIX-Befestigungssystem. Dabei werden Metallarme an Kindersitz oder Schale in spezielle Schnappverschlüsse im Autositz geschoben, bis sie einrasten – das Rückhaltesystem ist auf diese Weise fest mit der Karosserie verbunden.
Interessant: Zur Zertifizierung nach der älteren Norm ECE-R 44 werden Rückhaltesysteme nur einem Frontaufprall- und keinem Seitenaufpralltest unterzogen. Nach ECE-R 129 (iSize) ist beides Pflicht. Die Stiftung Warentest schreibt: „ISOFIX-Sitze gelten als besonders sicher beim Frontaufprall. Auch seitlich stehen sie stabiler im Fahrzeug als mancher Sitz, der nur mit dem 3-Punkt-Gurt des Autos befestigt ist.“
Wie viele Sitze braucht ein Kind?
Es gibt Kindersitze, in denen Sie Ihr Neugeborenes transportieren können und die anschließend mitwachsen. Auch wenn dadurch nur einmal Anschaffungskosten anfallen: Fachleute raten von solchen Universalsitzen ab, weil sie oft keinen optimalen Schutz bieten. Besser ist es, Säuglinge in einer Babyschale mitzunehmen und einen Kindersitz zu kaufen, sobald sie aus der Schale herausgewachsen sind.
Unser Tipp: Dass die Babyschale zu klein geworden ist, erkennen Sie daran, dass der Scheitel Ihres Kindes über die Rückenlehne hinausragt.
Im Reboarder fahren ist sicherer für Ihr Kind
Der Transport im Reboarder – wie rückwärts im Auto montierte Sitze genannt werden – minimiert bei einem Unfall das Verletzungsrisiko Ihres Kindes. Der Grund: Bei einem frontalen Aufprall wird der entstehende Druck über den gesamten Rücken des Kindes verteilt. Die empfindliche Hals- und Nackenmuskulatur wird weniger stark belastet.
Mindestens in den ersten zwölf Monaten sollten Sie Ihren Nachwuchs in der rückwärts montierten Babyschale transportieren. Denken Sie daran, den Tragebügel auch während der Fahrt hochzuklappen, damit er bei einem Unfall als Überrollbügel fungieren kann. Wenn Sie ein nach der iSize-Norm zertifiziertes Rückhaltesystem benutzen, wird das Rückwärtsfahren bis zum 15. Lebensmonat ausdrücklich empfohlen.
Fachleute raten bis zum 4. Geburtstag des Kindes zur Nutzung eines Reboarders. Für viele Kinderbeine ist allerdings schon vorher zu wenig Platz auf der Rückbank.
Zusätzlicher Schutz durch Top Tether, Stützfuß und Fangtisch
Mit diesen Maßnahmen können Sie das Rückhaltesystem Ihres Kindes zusätzlich stabilisieren:
- Stützfuß: Damit Babyschale oder Kindersitz bei einem Aufprall nicht nach vorne kippen, kann man sie mit einem Stützfuß am Fahrzeugboden verankern. Checken Sie vorher, ob Ihr Pkw dafür zugelassen ist.
- Top Tether: Hierbei handelt es sich um einen zusätzlichen Haltegurt oben am Kindersitz, der über einen Ankerpunkt auf der Hutablage oder im Kofferraum befestigt wird und Halt gibt.
- Fangkörper: Manche Kindersitze verfügen in Bauchhöhe über ein gepolstertes Kissen, auch Fangtisch genannt. Bei einem Aufprall rollt Ihr Kind über diesen Tisch ab. Oft fühlen sich Kinder aber durch den Fangtisch eingeengt. Probesitzen ist daher empfehlenswert.
Wenn die Kleinen auf der Rückbank quengeln, lenkt das Ihre Konzentration auf den Straßenverkehr unter Umständen im falschen Moment ab. Diese Tipps können dabei helfen, dass die gute Stimmung im Auto nicht kippt:
- Befestigen Sie Schnuller oder Kuscheltier mit einer Schnur am Kindersitz. Dann kann nichts herunterfallen, und Sie müssen nicht waghalsig mit einem Arm danach angeln, während Sie fahren.
- Es gibt magnetische Reisespiele, auf denen die Spielfiguren bombenfest sitzen und nicht durcheinanderkullern.
- Rüsten Sie sich mit Hörspielen aus.
- Machen Sie lieber öfter eine Pause, damit sich Ihre Kinder austoben können. Danach steigen sie zufriedener zurück ins Auto – oder schlafen vielleicht eine Weile.
- Halten Sie Snacks und Getränke in geeigneten Flaschen bereit, die Sie nach hinten reichen können. Ideal sind Lebensmittel, die nicht kleben oder schmieren.
Oft werden Kinder falsch angeschnallt
Laut Verkehrswacht sind nur 35 Prozent aller Kinder richtig im Kindersitz angeschnallt. Der häufigste Fehler sind lose Gurte. Es gilt die Regel: Wenn mehr als eine Hand zwischen Gurt und Körper passt, ist Ihr Kind nicht ausreichend gesichert.
Auch darauf sollten Sie beim Anschnallen unbedingt achten:
- Kleinere Kinder werden mit einem 5-Punkt-Gurt (auch Hosenträgergurt genannt) gesichert. Er muss eng anliegen und regelmäßig an die Größe des Kindes angepasst werden.
- Ältere Kinder werden mit dem 3-Punkt-Gurt gesichert. So sitzt er ideal: Der Schultergurt befindet sich nicht in der Nähe des Kinns, sondern mittig auf der Schulter. Der Beckengurt läuft durch die dafür vorgesehene Gurtführung. Das ist wichtig, weil er so bei einem Unfall nicht hochrutschen und schwere Verletzungen am Bauch verursachen kann.
- Unter dem Arm hat der Gurt nichts zu suchen.
- Der Gurt darf niemals verdreht sein.
Auf dieser Autoseite steigen Kinder sicher ein und aus
Am besten ist es, wenn Sie Kindersitze auf der Beifahrerseite montieren. Dann können Ihre Kinder auf der Gehwegseite aussteigen. Auch Sie stehen dann sicherer, falls Sie zum Beispiel die Babyschale befestigen oder Ihr Kind anschnallen müssen.
Auch wenn mehrere Kinder im Auto sind, sollte immer die Gehwegseite für den Ein- und Ausstieg gewählt werden. Die jeweils älteren Kinder müssen dafür nur schnell am Sitz auf der Beifahrerseite vorbeirutschen oder von Ihnen herausgehoben werden.
Achtung: Verläuft auf der Gehwegseite ein Radweg, haben Sie auch dort ein wachsames Auge auf den Nachwuchs.
Kinder im Auto: Andere Jahreszeiten, andere Risiken
In der Sommerhitze sollten Sie Ihre Kinder niemals allein im Auto warten lassen. Auch nicht, wenn es sich um eine vermeintlich kurze Besorgung handelt. Der Grund: Die Temperatur im Auto kann innerhalb kurzer Zeit auf weit über 40 Grad Celsius ansteigen – und zwar unabhängig von der Farbe des Lacks. Daran ändert auch ein leicht geöffnetes Fenster nichts. Vor allem für sehr kleine Kinder kann das lebensbedrohlich sein.
Im Winter sollten Ihre Kinder – und auch Sie – keine dicken Winterjacken während der Fahrt tragen. Bei einem Aufprall kann dadurch der Gurt verrutschen und zum Sicherheitsrisiko werden. Eine eventuell vorgewärmte Decke hilft, die ersten kalten Minuten im Auto zu überbrücken. (Wie Sie sich im Herbst und Winter am besten auf der Straße verhalten und so auch mitfahrende Kinder schützen können, erfahren Sie in unserem Ratgeber-Artikel über das richtige Fahrverhalten in den kalten Jahreszeiten.)
Diese Materialien eignen sich fürs Familienauto
Mit Kindern im Auto muss der Innenraum eines Fahrzeugs viel aushalten: verschüttete Getränke, Krümel, scharfkantige Spielzeuge oder schmutzige Klamotten. Achten Sie daher auf Materialien, die nicht leicht zerbrechen und sich möglichst ohne Chemikalien reinigen lassen. Sie können die Rückbank auch mit einem Tuch abdecken, das Sie regelmäßig ausschütteln oder in die Waschmaschine stecken können. Oder Sitzbezüge verwenden.
Die Seitenverkleidungen im Wageninneren sollten ebenfalls aus einem robusten, einfach zu reinigenden Material bestehen. Kunststoff lässt sich leichter pflegen als Stoffbezüge. Achten Sie beim Autokauf darauf, welcher Kunststoff verbaut wurde und ob Fachleute ihn auch in Unfallsituationen zum Beispiel bei Hitzeeinwirkung als sicher einschätzen. Er sollte keine gefährlichen Splitter oder Gase freisetzen.
Mehr Tipps und Tricks zur Autopflege finden Sie in unserem Beitrag „Ratgeber Autopflege“.
Unser Tipp: Stellen Sie auch sicher, dass der Kindersitz aus unbedenklichen Materialien besteht und beispielsweise frei von schädlichen Weichmachern ist. Aufschluss darüber kann ein Blick in aktuelle Testuntersuchungen geben.
In unserem Ratgeber-Artikel über die Kfz-Versicherung finden Sie weitere Informationen zu den Leistungen des Versicherungsangebots von EUROPA.
Stand: 05.04.2022. Alle Angaben ohne Gewähr.